Die Wohlgesinnten by Jonathan Littell

Die Wohlgesinnten by Jonathan Littell

Autor:Jonathan Littell
Die sprache: de
Format: mobi
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2011-12-06T18:08:42+00:00


Schließlich war es Thomas doch gelungen, mir einen Termin bei Schulz zu besorgen. »Da die Sache nicht richtig vorankommt, ist es, denke ich, einen Versuch wert. Geh rücksichtsvoll mit ihm um.« Das kostete mich keine sonderliche Mühe: Schulz, ein kleiner, schmächtiger Mann, der in seinen Schnurrbart nuschelte und einen tiefen Schmiss quer über den Mund hatte, drückte sich so gewunden aus, dass es manchmal schwer war, ihm zu folgen; unablässig in meiner Akte blätternd, ließ er mich kaum zu Wort kommen. Es gelang mir, etwas über mein Interesse an der Außenpolitik des Reiches einzuflechten, doch er schien es gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Aus diesem Gespräch ergab sich lediglich, dass man sich höheren Ortes für mich interessierte und nach Abschluss meines Genesungsurlaubs weitersehen werde. Das war wenig ermutigend, und Thomas bestätigte meine Auffassung: »Die da unten müssen dich für einen konkreten Posten anfordern. Sonst schickt man dich wer weiß wohin, nach Bulgarien vielleicht. Gut, da ist es ruhig, aber der Wein ist nicht besonders.« Best hatte mir vorgeschlagen, mich mit Knochen in Verbindung zu setzen, doch Thomas’ Worte hatten mich auf eine bessere Idee gebracht: Schließlich hatte ich Urlaub, nichts zwang mich, in Berlin zu bleiben.

Ich nahm den Nachtexpress und kam kurz nach Morgengrauen in Paris an. Die Kontrollen bereiteten keine Schwierigkeiten. Vor dem Bahnhof nahm ich voll Freude den blassen grauen Stein, die Hektik der Straßen in mich auf, wegen der Sprit-Rationierung waren nur wenige Kraftfahrzeuge unterwegs, aber die Fahrbahnen waren mit Zwei- und Dreirädern verstopft, zwischen denen sich die deutschen Autos nur mühsam einen Weg bahnen konnten. Von der Heiterkeit angesteckt, betrat ich das erstbeste Café und trank, an der Theke stehend, einen Kognak. Ich trug Zivil, und niemand hatte Grund, mich für etwas anderes als einen Franzosen zu halten, was mir ein seltsames Vergnügen bereitete. Langsam schlenderte ich zum Montmartre hinauf und quartierte mich in einem kleinen, unauffälligen Hotel ein, an der Flanke der Butte, oberhalb von Pigalle; ich kannte diese Gegend: Die Zimmer waren einfach und sauber und der Wirt ohne jede Neugier, was mir gefiel. Am ersten Tag wollte ich niemanden sehen. Ich ging spazieren. Es war April, der Frühling war überall zu ahnen, im zarten Blau des Himmels, den Knospen und Blüten, die sich auf den Zweigen zeigten, und in einer gewissen Ausgelassenheit oder zumindest Beschwingtheit in den Schritten der Menschen. Ich wusste, das Leben war hart in Paris, der gelbliche Teint vieler Gesichter verriet den Nahrungsmangel. Trotzdem schien sich seit meinem letzten Besuch nichts verändert zu haben, abgesehen vom Verkehr und den Graffiti: Auf den Wänden las man jetzt Stalingrad oder 1918, meist abgewaschen und manchmal durch 1763 ersetzt, ganz gewiss ein geistreicher Einfall unserer Dienste. Ich schlenderte zur Seine hinab und stöberte bei den Bouquinisten an den Quais: Zu meiner Überraschung verkauften sie neben Céline, Drieu, Mauriac, Bernanos oder Montherlant auch ganz offen Kafka, Proust und sogar Thomas Mann; solche Laxheit schien an der Tagesordnung zu sein. Fast alle Händler hatten ein Exemplar von Rebatets im Vorjahr erschienenen Buch Les décombres vorliegen: Ich blätterte es aus Neugier durch, verschob den Kauf aber auf später.



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